Wir berichten von ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten, was aus ihnen geworden ist.

. . . Özgür Kibarogullari?

Özgür Kibarogullari aus dem Jahrgang 2004 ist in Istanbul geboren und mit 14 Jahren nach Deutschland gekommen. Er besuchte nacheinander Hauptschule, Realschule und Gymnasium und machte dann 2009 sein Abitur. Um die Zeit bis zum Studium zu überbrücken, arbeitete Özgür an seiner ehemaligen Hauptschule als Assistenzlehrer in einer Vorbereitungsklasse. Es war ihm wichtig, den Jugendlichen, die in derselben Situation waren wie er selbst noch vor wenigen Jahren, ein Mut machendes Beispiel zu sein: „So hatten sie jemand, der auch in der Situation war und jetzt Abitur gemacht hat.“

Zur selben Zeit wurde Özgür Basketball-Coach für die U14 Mannschaft in Ludwigsburg, was eine herausfordernde Position war, wie er beschreibt: „Erstens musste ich die richtige Trainingsplanung machen, da die Spieler die besten aus Baden-Württemberg waren und teilweise zu den besten in ganz Deutschland gehörten. Zweitens waren diese Spieler in der Pubertät und ich fühlte mich verantwortlich, mich um die Schule und andere Sachen von Spielern zu kümmern.“ Eine sehr zeitintensive Aufgabe, die von Erfolg gekrönt wurde – Özgürs Mannschaft wurde Baden-Württembergischer Meister!

Im Oktober 2009 begann er dann sein Informatikstudium an der Universität Stuttgart. Auch während des Studiums spielte Basketball eine große Rolle für Özgür: Neben dem Coaching bot er zusätzlich noch Basketball-Kurse und -AGs in Schulen an.

2010 initiierte Özgür gemeinsam mit Freunden ein weiteres Projekt: Die Gruppe wollte Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zusammenbringen, um über spannende Themen zu diskutieren. Sie organisierten mehrtägige Treffen, zu denen spannende Gäste kamen: „[…] wo Autoren, Juristen, Diplomaten und viele andere interessante Persönlichkeiten eingeladen waren. So hatten die Teilnehmer die Möglichkeit mit eingeladenen Personen über die Themen direkt zu diskutieren.“ Das Projekt nahm bald Fahrt auf und einzelne Teilprojekte konnten sogar Preise gewinnen!

Im Sommer 2010 reiste Özgür dann mit einem Fulbright-Stipendium an die Basketball-begeisterte University of Kentucky, was für ihn ein absolutes Paradies war. Und auch sonst war der Aufenthalt dort beeindruckend: „Außerdem war es für mich eine sehr interessante Zeit, da ich gesehen habe, wie spontan und schön es ist, lange Zeit ohne Handy und Internet zu leben :-).“

Ab 2011 standen für Özgür alle Zeichen auf „Zukunftsplanung“: Um sich über seinen Berufswunsch klar zu werden, absolvierte er ein Praktikum bei der Robert Bosch GmbH, ein Auslandssemester an der Istanbul Bogazici Universität und eine Hospitation als Basketballtrainer bei Fenerbahce Istanbul. Vor seiner Zeit in Istanbul spielte Özgür mit dem Gedanken, später in der Türkei leben und arbeiten zu wollen – hiervon kam er dann allerdings ab: „Nachdem ich aus der Türkei zurückgekommen bin, habe ich schnellstmöglich ein Antrag für die deutsche Staatsbürgerschaft gestellt.“ Zurück in Deutschland arbeitete Özgür als Werkstudent bei der Daimler AG, was ihm half seinen Berufswunsch zu konkretisieren. Ende 2013 konnte Özgür dann sein Bachelorstudium erfolgreich abschließen und nach kurzer Zeit bei der Unternehmensberatung Accenture anfangen. Nach verschiedene Projekten in Indien und Europa hat er sich entschieden wieder zurück nach Stuttgart zu kommen. Zurzeit ist er in der Automobilindustrie tätig. Wir wünschen wir ihm alles Gute!

Den Stipendiat*innen würde Özgür gerne folgendes mit auf den Weg geben: „Genieße alles im Leben. Sowohl Erfolg als auch Misserfolg.“

. . . Sergej Nowoshilow?

Sergej aus dem TiL-Jahrgang 2003 ist ein Forscher, wie er im Buche steht: gleich nach seinem Abitur 2004 hat er angefangen, Bioinformatik an der LMU in München zu studieren. Die Wahl des Studiengangs fiel ihm relativ leicht, da er sich immer für Neurowissenschaften und Programmiersprachen interessiert hatte. Gleich am Ende des ersten Semesters hat er sich als wissenschaftliche Hilfskraft (Hiwi) am Zentrum für Sensomotorik in München beworben und den Job auch bekommen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch wenig Fachwissen vorweisen konnte. Schon einige Monate später konnte er seine Programmierkenntnisse gut einsetzen und hat sich ein eigenes Projekt „ausgedacht“: Es war keine neue Erfindung, sondern eine gründliche Überarbeitung eines Software-Pakets, dass zu der Zeit bereits zehn Jahre alt war. Dabei ging es um die Klassifikation von Patienten mit bestimmten neurologischen Erkrankungen, wie zum Beispiel das Parkinson-Syndrom, mittels eines neuronalen Netzes. Das Projekt lief gut und mittlerweile wird die Software am Uni-Klinikum in München zur Analyse von einigen Patientendaten routinemäßig eingesetzt.

Im dritten Semester konnte Sergej ein Praktikum in einem richtigen biologischen Labor absolvieren, welches sich als Wendepunkt für ihn herausstellte. Die spannenden Prozesse, die es zu erforschen galt, reizten ihn sehr und er “verliebte“ sich schließlich in die Molekularbiologie. Nach diesem Praktikum nahm er eine weitere Tätigkeit als Hilfskraft in diesem Labor auf. Beide Hiwi-Jobs übte er bis zum Ende seines Studiums aus. In diesem Labor schrieb er sowohl seine Bachelor- als auch seine Masterarbeit, in denen es um die Populationsgenetik von Taufliegen ging.

Nach seinem Abschluss arbeitete Sergej eineinhalb Jahre beim Deutschen Schwindelzentrum im Uniklinikum Großhadern, um sein Projekt aus Uni-Zeiten weiter zu entwickeln. Dabei wurde ihm jedoch klar, dass dieser Bereich nicht dem entsprach, was er sein Leben lang weiter machen wollte – ihm fehlte die Forschung im biologischen Bereich. Da kam es gerade recht, dass Sergej noch eine weitere Faszination hatte: die Forschung mit Salamandern, die verlorene Gliedmaße regenerieren können. Also suchte er bei Forschungsgruppen nach PhD-Stellen, deren Schwerpunkt auf diesem Thema lag. Er entschied sich für das spannend und anspruchsvoll klingende Projekt von Prof. Dr. Elly Tanaka in Dresden. Dabei ging es erstens um die Assemblierung vom Axolotl – einem bestimmten Salamander – Transkriptom. Im Gegensatz zum Genom, welches (mit wenigen Ausnahmen) in jeder Zelle des Organismus gleich ist, stellt das Transkriptom aktuell aktive Erbinformation dar, also Gene, die in einer bestimmten Zelle bzw. einem Organ aktiv sind. Für die Regenerationsforschung ist es deshalb wichtig zu wissen, welche Gene nach der Amputation des Gliedmaßes aktiv bzw. ausgeschaltet werden und was im Endeffekt zu einer perfekten Regeneration führt. Der zweite Teil des Projektes hatte die Aufgabe verschiedene Arten von Salamandern miteinander zu vergleichen, um so im besten Fall die Gene zu finden, die diesen Tieren ihre Regenerationsfähigkeit verleihen. Spannend, oder?

Im Februar 2016 verteidigte Sergej dann erfolgreich seine Doktorarbeit und forscht nun weiter am selben Projekt. Inzwischen ist die gesamte Forschungsgruppe inklusive Sergej jedoch nicht mehr in Dresden – er ist nun in Wien anzutreffen! Dort sind er und das Team im Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie angesiedelt. Zwar ist der Fortschritt noch nicht so weit, dass die Forschung zur Regeneration von Gliedmaßen auf Menschen übertragen werden könnte, doch Sergej ist davon überzeugt, dass dies noch kommen wird. Spannende Aussichten, wie wir finden, und viel Erfolg an Sergej bei seiner Arbeit!

. . . Sihong Zhang?

Diese Alumna setzt Maßstäbe: Als Sihong 2004 in das Programm aufgenommen wurde, war sie 14 Jahre alt. In Shanghai geboren, zog sie im Alter von sechs Jahren nach Freiburg. Zu diesem Zeitpunkt spielte sie schon seit zwei Jahren Klavier, eine Leidenschaft, die sie noch lange begleiten sollte: 2002 wurde sie in die Musikhochschule Freiburg aufgenommen, dort blieb sie bis 2009 und absolvierte das Vorklassenstudium für begabte Jugendliche mit Hauptfach Klavier. Sie nahm an zahlreichen Wettbewerben teil und gewann nicht selten den ersten Platz.

Dies ist aber nicht ihr einziges Talent: Ob Mathematik, Latein oder Biologie – Sihongs Noten waren stets hervorragend. Soziales Engagement zeigte sie als Mitarbeiterin der Schülerbibliothek und als Organisatorin des Schulmittagessens. Nach dem Abitur, das sie mit 1,0 bestand, ging es dann zum Studium der Volkswirtschaftslehre nach München. Sie wurde Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes und machte praktische Erfahrungen am Ifo-Institut München, am Institut für Kommunikationsökonomik der LMU München und bei Accenture in Beijing.

Für den Master wechselte Sihong 2012 nach Mannheim, dort ist sie auch als Tutorin für Mikroökonomik und Grundlagen der VWL tätig. Aufgrund ihrer guten Leistungen bekam sie nach dem ersten Semester das Angebot direkt in das PhD-Programm zu wechseln und somit den Master zu überspringen. Nachdem sie zwei Jahre lang PhD-Kurse besuchte, bekam sie im Sommer 2014 ihren Master in Economic Research mit der Note „sehr gut“ verliehen und schreibt seitdem an ihrer Dissertation. In ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sich Sihong hauptsächlich mit strategischem Verhalten und Interaktionen auf Märkten und hat ihre Arbeit bereits auf einigen internationalen Konferenzen präsentiert. Um einen Einblick in die „reale“ Wirtschaftswelt zu gewinnen, warf sie 2015 mit ihrem Praktikum bei McKinsey & Company einen Blick hinter die Kulissen der Topmanagement-Beratung fernab von der Forschung.

Die Verbindung zu Talent im Land brach auch nach ihrem Abitur nicht ab und Sihong übernahm bereits mehrmals die Co-Leitung bei unserem Sommerakademie-Kurs „Wirtschaft“. Wir drücken ihr die Daumen für ihre Promotion und wünschen ihr alles Gute für die Zukunft!

. . . Severina Butovich?

Severina aus dem TiL-Jahrgang 2012 hat 2014 ihr Abitur absolviert und ist seitdem viel in der Weltgeschichte unterwegs: Russland, die USA, China und viele weitere Orte hat sie zwischenzeitlich bereist. Doch von vorn: Direkt nach dem Abitur und einer wundervollen Sommerakademie fuhr Severina in ihre Heimat Sankt Petersburg – erst der dritte Besuch seit dem Umzug nach Deutschland 2005. Das Wiedersehen war gleichzeitig ein Abschied, denn Severina gab ihre russische Staatsbürgerschaft auf und stellte sich einem zweijährigen Einbürgerungsprozess. Teil davon war auch ein Sommer ohne Staatenzugehörigkeit, in dem sie Deutschland natürlich nicht verlassen konnte, was der reisefreudigen Severina sicher nicht leicht fiel. Seit 2016 ist Severina nun deutsche Bürgerin – eines ihrer Highlights aus der Zeit nach dem Abi.

Die Zeit zwischen Schule und Studium nutzte Severina dann wieder voll aus und nahm an der „Fulbright Diversity Initiative“ teil. Dank des Stipendiums konnte sie für einen Monat an der University of Kentucky studieren und sich in „Entrepreneurship“ weiterbilden, etwas über die US-amerikanische Hochschulwelt lernen, umherreisen und ihr Englisch weiter verbessern.

Anschließend entschied sich Severina für ein Studium in International Management an der ESB Business School Reutlingen, bei dem sie jeweils drei Semester in Deutschland und China in der jeweiligen Landessprache studieren sollte. Als Teil des Studienprogramms werden in beiden Ländern einsemestrige Praktika absolviert, in Deutschland arbeitete Severina dabei in der Zentrale der Robert Bosch GmbH im Bereich des Strategischen Marketings.

Neben dem Studium engagiert Severina sich im „Culture & Charity“ Ressort der Reutlinger Hochschule und leitete diverse weitere Projekte. Sie ist zudem Stipendiatin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Nun absolviert Severina den chinesischen Teil ihres Studiums, derzeit das so genannte Sprachenjahr, um ihre Chinesischkenntnisse auf das für die Fortsetzung des Studiums notwendige Niveau zu bringen. Gefördert wird sie dafür von der chinesischen Regierung und der EU. In ihrer Freizeit geht sie gern vier- bis fünfmal in der Woche tanzen, außerdem lernt sie in einer Kampfsportakademie Jiu-Jitsu. Tanzen und Kampfsport sind aber mehr als eine reine Freizeitbeschäftigung – hier kann Severina auch als einzige Nicht-Chinesin in den Kursen an ihren Sprachkenntnissen arbeiten. In der Freizeit erkundet sie liebend gern Peking und die Geschichte und Kultur des Landes, um Unterschiede besser verstehen zu können. Die zweimonatigen Winterferien hat Severina genutzt, um mit einer Kommilitonin auf einer Backpackingtour Süd-Ost-Asien (Vietnam, Laos, Kambodscha und Singapur) zu bereisen – eine unvergessliche kulturelle Erfahrung, wie sie beschreibt.

Generell zieht sich die Liebe zu Sprachen, Reisen und anderen Kulturen durch Severinas Leben wie ein roter Faden. So arbeitete sie beispielsweise auch im Sommer 2016 als Jugendreiseleiterin in Rimini und war dabei zuständig für die Organisation und Übersetzungsarbeit vor Ort. Neben dem Aufbessern ihrer Italienischkenntnisse konnte sie so neue Erfahrungen in Jugendarbeit sammeln und eine tolle Zeit verbringen.

TiL hat Severina auch fast drei Jahre nach ihrem Abi noch in guter Erinnerung. Sie erzählt: „Obwohl seit meinem Abi nun fast drei Jahre vergangen sind, denke ich immer noch gerne an die Zeit bei TiL zurück. Ich habe unglaubliche Unterstützung erhalten, habe sehr viel gelernt, dank TiL und vor allem dank der zwei Sommerakademien konnte ich mich für meinen Studiengang entscheiden, doch am wichtigsten ist, dass ich Freunde fürs Leben gefunden habe. Dafür bin ich unglaublich dankbar!“

Wir sind auch sehr dankbar, Severina im Programm gehabt zu haben und wünschen ihr weiterhin alles Gute – für ihre Zeit in China, ihr restliches Studium und alles was folgt!

. . . Esengül Toprak?

Nachdem Esengül aus dem Jahrgang 2005 schon während der Schulzeit Erfahrung als Schulsanitäterin sammelte (und den Schulsanitätsdienst sogar in ihrer Schule mit aufbaute!) , absolvierte sie nach ihrem Abitur 2010 zunächst ein freiwilliges soziales Jahr beim Deutschen Roten Kreuz, um Lebenserfahrung und Menschenkenntnis zu sammeln, bevor es dann ‚richtig‘ losgehen sollte. Als Rettungshelferin arbeitete Esengül ein Jahr im Zollernalbkreis. Gegen Ende des FSJs bot das DRK ihr an, die Ausbildung zur examinierten Rettungssanitäterin abzuschließen, für die sie sich ebenfalls während des FSJs qualifiziert hatte. Esegenül nahm das Angebot an: „Das DRK übernahm die gesamten Ausbildungskosten und im Gegenzug ließ sie mich verpflichten.“ Viele von Esengüls Mitstreiter*innen bezahlten die Ausbildungskosten, bis damals bis zu 8000 Euro betrugen, aus eigener Tasche. Mittlerweile ist die Ausbildung als Notfallsanitäter*in, wie es nun heißt, nicht mehr kostenpflichtig und man erhält sogar eine Ausbildungsvergütung.

In alter, engagierter TiL-Manier verkürzte Esengül ihre schulische Ausbildungszeit von einem Jahr auf sechs Monate und war Ende 2012 bereits als examinierte Rettungsassistentin unter den besten zehn Prozent der Azubis. Dann konnte endlich die praktische Phase beginnen: Esengül startete im Dreiländereck in Lörrach durch und arbeitete dort in der Rettungswache, zuerst ein Jahr als RAiPler (Rettungsassistent*in im Praktikum) auf dem Rettungswagen, der die Wachen und Krankenhäuser des Landkreises Lörrach anfährt.

Wieder übersprang Esengül ein paar Schritte, denn eigentlich ist man zu Beginn des praktischen Jahres um die zwei Monate als dritter Mann im Rettungswagen unterwegs. Aufgrund ihrer Erfahrungen im FSJ konnte sie bereits in der dritten Woche als RAiPLer als zweite Person und damit als Schlüsselfigur auf dem Rettungswagen mitfahren und übernahm schließlich Dienste mit voller Verantwortung. Direkt ihr erster Tag war voller Notfälle und bei keinem der Einsätze war sofort ein Notarzt vor Ort – Esengül und ihr Kollege, der im FSJ war, mussten alles allein bewältigen. Zur Einstellung eine Beweisprobe also, mit quasi allen kniffligen Fällen auf einmal. Esengüls Einsatz und Übungen beim DRK sind hier zu sehen:

Im Sommer 2015 endete Esengüls Zeit beim Lörracher DRK. Ihr Wunsch nach mehr Lebenserfahrung und Menschenkenntnis wurde auf jeden Fall erfüllt, und im September 2015 begann sie einen ganz anderen Karriereweg: eine Ausbildung zur Finanzassistentin in der Sparkasse Lörrach-Rheinfelden. Esengül wird im Mai 2017 ihre Abschlussprüfung ablegen und rät allen TiLern (und jedem sonst), „das zu tun wovon man auch hundertprozentig überzeugt ist und nicht, weil anderes es von einem erwarten“. Sie ist überzeugt, dass sie niemals die wertvollen Erfahrungen gesammelt hätte, die sie heute ausmachen, wenn sie den „üblichen Weg“ des Studiums gegangen wäre. Dennoch schließt sie ein Studium auch für sich selbst nicht aus, doch sie ist der Meinung, dass man in beruflicher Hinsicht alles tun sollte, worauf man Lust hat, solange die Möglichkeit besteht. Esengüls Message an alle TiLer ist bestärkend: „Lasst euch nicht allzu sehr von konventionellen Wegen beherrschen. Es geht auch anders 😉 Anders heißt nicht schlecht.“

. . . Filip Mitrovski?

Filip Mitrovski aus dem Jahrgang 2010 fährt leidenschaftlich gerne Rad, bewundert den Architekten Jan Gehl und spielt seit kurzem im Improvisations-Theater an der Universität. Nach seinem Abitur im Jahr 2012 in Stuttgart legte er Zwischenstopps in Luxemburg und Dänemark ein, inzwischen lebt er wieder in Berlin und studiert dort Europäische Ethnologie.

Seine Eltern sind nach Deutschland gezogen als im Vielvölkerstaat Jugoslawien der Krieg ausbrach. Warum diese Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien und Religionen entstanden sind, erforschte er als Gast-Student an der Universität Kopenhagen. Er reist mittlerweile oft in die Region, um zu beobachten wie sich die neuen Staaten entwickeln und wie die verschiedenen Gruppen mit dem Erbe des Krieges umgehen.

Seitdem er aus der Fahrradstadt Kopenhagen zurück ist, kritisiert Filip das Mobilitätskonzept vieler deutscher Großstädte. „Wir Stuttgarter kennen die Probleme, die der Autoverkehr mitbringt nur zu gut. Besonders Dieselmotoren verpesten unsere Luft mit Stickoxiden, ein Abgas auf das jährlich 10.400 Todesfälle in Deutschland zurückzuführen sind. Radwege und ÖPNV müssen besser gefördert werden und der Autoverkehr deutlich eingeschränkt. Und zwar noch heute. Städte wie Eindhoven und Münster zeigen, dass eine solche Mobilitätswende gelingt und allen Parteien nützt. Denn die schlechte Luft atmen wir alle ein, somit sind wir alle betroffen.“

Die Zeit bei Talent im Land empfindet Filip bis heute als prägend. „Durch die Seminare bin ich ein großes Stück selbstbewusster geworden und habe viele Seiten an mir entdeckt. Doch die wahren Highlights waren die Abende mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten. Wir haben viel gelacht und herumgealbert. In Erinnerung bleiben mir aber vor allem unsere Gespräche über die großen Fragen. Wir waren ein unterschiedlicher Haufen; Muslime, Juden, Atheisten, Christen, eingesessene Schwaben oder gerade neu in Deutschland Angekommene, die sich da über Religion, Gerechtigkeit und Freiheit unterhielten. Das war schon einzigartig.“

. . . Shqipe Stocker?

Shqipe aus dem Jahrgang 2004 begann nach dem Abitur ein Lehramtsstudium mit der Fächerkombination Germanistik und Geschichte. Dabei hatte sie das Glück, von der Markelstiftung – und damit einem Vorgängerprogramm von TiL – gefördert zu werden. Durch ein weiteres Stipendium hatte sie sogar die Chance an einer Reise nach Alaska teilzunehmen, die für zehn Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund ermöglicht wurde. Insgesamt elf Semester studierte Shqipe in Heidelberg – eine Zeit, auf die sie gerne zurückblickt.

Dennoch verschlug es sie nach dem Studienabschluss weiter in den Süden des Ländles – nach Singen am Hohentwiel. Im Januar 2012 begann sie dort ihr Referendariat und meisterte die Lehrproben zusammen mit ihren ‚Ref‘-Kolleg*innen mit Bravour.

Shqipe unterrichtet mittlerweile seit einigen Jahren an einem beruflichen Gymnasium und hat etwas geschafft, von dem sie nie geglaubt hätte, es könnte in Erfüllung gehen: eine Kosovarin unterrichtet deutsche Schüler in deren Muttersprache! Ihre TiL-Erfahrung konnte Shqipe außerdem direkt weitergeben, denn vor einem Jahr empfahl sie einen ihrer Schüler selbst bei TiL und er wurde ins Programm aufgenommen. Für Shqipe ist es schön, zu wissen, dass auch er nun die kompetente Unterstützung erfährt, die sie selbst vor Jahren hatte.

Eine weitere große Wende erwartet Shqipe außerdem im Frühjahr 2017: sie wird Mutter! Damit übernimmt sie eine weitere spannende Rolle und wird einen neuen Lebensabschnitt kennenlernen.

Shqipes Antrieb, der ihr immer wieder geholfen hat, all dies zu meistern, ist ein afrikanisches Sprichwort: „Wenn du schnell gehen willst, dann gehe alleine. Wenn du weit gehen willst, dann musst du mit anderen zusammen gehen.“ Sei es in der Schule bei TiL, während dem Studium oder im Referendariat, Shqipe wurde von diesen Zeilen begleitet. Zu jeder Zeit sind ihr helfende Hände begegnet, die sie auf ihrem Weg begleitet haben und ihr oftmals die schwere Last von den Schultern genommen haben und heute ist sie in der Lage, es an andere weiterzugeben. Wir wünschen Shqipe für ihre Zukunft alles Gute!

. . . Joka Pipercevic?

Joka Pipercevic aus dem Jahrgang 2006 hat 2008 ihr Abitur gemacht und nahm direkt im Anschluss ein Studium der Biochemie an der Technischen Universität in München (TUM) auf. Schon während des Studiums bildete sich Joka konstant weiter, sie besuchte beispielsweise an Wochenenden Tagungen der Uni oder auch des Max- Planck-Instituts und absolvierte in den Semesterferien Praktika. Auch darüber hinaus war Joka vielseitig engagiert, zum Beispiel als Teilnehmerin bei ‚Model United Nations‘ oder verschiedenen Akademien.

Da Joka ihr Bachelorstudium besonders flott absolvierte und die Abschlussarbeit vorziehen konnte, blieb ihr im 6. Semester Zeit zum Reisen: Indien sollte es sein! Zunächst arbeitete Joka am NCBS, einem bekannten indischen Forschungsinstitut und forschte gemeinsam mit den einheimischen Wissenschaftlern über die Neurobiologie des Fadenwurms ‘C. elegans’. In Versuchen wurden die Würmer mit einer oder zwei Mutationen in bestimmten Proteinen genetisch verändert und die darauffolgenden Veränderungen am Verhalten und der Physiologie bestimmter Nerven ließen Schlussfolgerungen zu, wie wichtig diese Proteine für die Entstehung von Nerven oder Synapsen sind. Solche Erkenntnisse können mitunter auch auf den menschlichen Organismus übertragbar sein. Neben spannenden wissenschaftlichen Eindrücken nahm sich Joka auch noch Zeit für die Erkundung des Subkontinents. Dabei lernte sie die indische Kultur und deren Traditionen besser kennen, wurde aber auch für gesellschaftliche Brennpunkt-Themen sensibilisiert, wie beispielsweise die gängige Praxis der arrangierten Ehen.

Nach der Rückkehr aus Indien nahm Joka ein Masterstudium in Biochemie auf, wieder an ihrer ehemaligen Universität in München. Ihre Lust am Reisen lebte sie nun in den Semesterferien aus und besuchte Spanien, Frankreich, Italien und die Türkei, bevor sie im September 2013 ihren Master abschließen konnte. Das Thema von Jokas Masterarbeit, die sich mit Kernspinresonanz befasste, ist weiterhin ihr Forschungsgebiet. Mithilfe der Kernspinresonanz beschäftigte sie sich zuerst mit dem Mechanismus des Zelltodes, der besonders bei Krebskrankheiten nicht richtig funktioniert. Dafür war sie zuerst für neun Monate an der Harvard University in Boston, wo sie die USA näher kennen lernen konnte und später für weiteres Jahr an ihrer Münchner Heimatuniversität.
Seit September 2015 promoviert Joka an der Universität Basel in der Schweiz. Sie erforscht hier die Struktur eines bakteriellen Toxin: Dieses wird von manchen Bakterien in unserem Darm sekretiert, um sich in unserem überbevölkerten Darm leichter anzusiedeln.
Während der Forschungsarbeit teilt sie gerne als Kursleiterin ihre Begeisterung und biochemisches Know-how an die Schüler der Vorbilderakademie oder der Deutschen Schülerakademie. Den Kontakt zu TiL hat Joka stets gehalten: Sei es durch ihren Einsatz für Münchner Studieninfo-Tage für Abi-TiLer. oder als Kommissionleiterin für Gemeinnützige Arbeit des TiL-Alumni Vereins. Dafür bedanken wir uns herzlich!

. . . Ridha Azaiz?

Ridha wurde 2003 als Mitglied des ersten Stipendiatenjahrgangs bei TiL aufgenommen. Er besuchte damals bereits die Oberstufe und hatte schon einiges erreicht: Mit nur 13 Jahren hatte Ridha angefangen, Roboter zu bauen. Diese Leidenschaft entstand aus einer Unlust heraus: Ridha hatte kein Interesse daran gehabt, die Solarpaneele auf dem elterlichen Dach von Hand zu reinigen, also bastelte er sich lieber einen kleinen Helfer. Bis heute sind Roboter (inzwischen vor allem Drohnen)  sein Steckenpferd geblieben.  Mit großem Ehrgeiz verbesserte er sie weiter und hatte damit schnell Erfolg: Er nahm an Wettbewerben von „Jugend forscht“ teil und landete mehrere Male auf dem ersten Platz.

2004 machte Ridha sein Abitur und bewarb sich für ein Maschinenbau-Studium in Aachen, wechselte aber für das Masterstudium nach Berlin. Nebenher baute und verbesserte er seine Roboter immer weiter und mit seiner Karriere ging es steil nach oben. Seine Forschungstätigkeit fand sowohl national als auch international Beachtung: vom ersten Fernsehauftritt 1998 im WDR über zahlreiche Zeitungsartikel und wissenschaftlichen Veröffentlichungen bis hin zum Gewinn des Hardware Awards der hy! Berlin und damit der damit verbunden Reise ins Silicon Valley – Ridha ist einen langen Weg gegangen. Mittlerweile hat er mehrere Patente angemeldet, die in Australien und Europa erteilt wurden,  und eine eigene Firma gegründet.

Doch damit natürlich nicht genug: die Patente sollen auch in weiteren Ländern folgen und erst vergangenes Jahr hat er eine EU-Förderung für sein Startup erhalten. Diese ermöglichte ihm die Durchführung von Tests mit der selbst entwickelten Drohne in aller Welt, unter anderem in der Rajasthan-Wüste im Norden Indiens. Ebenfalls im Vergangenen Jahr schaffte Ridha es mit seinem Startup in die Top 100 zweier Startup-Festivals, so konnte er beim “New Energy Festival” in Astana, Kasachstan, und bei der “BDL Accelerate”-Konferenz in Beirut im Libanon präsentieren und seine Drohne an den Mann und die Frau bringen.

Genug der Spannung: was kann sein Roboter „Solarbrush“ eigentlich? Um Angestellten von Solaranlagen die Arbeit zu erleichtern, soll der Reinigungsroboter Solarmodule reinigen und so deren Wirkungsgrad kostengünstig aufrechterhalten. Aus den Robotern sind mittlerweile Drohnen geworden, da diese die Aufgabe vorrausichtlich günstiger bewerkstelligen können. Wer mehr erfahren möchte besucht am besten Ridhas Homepage: → www.aerialpower.com

Uns freut besonders, dass er Talent im Land immer noch treu ist und wir wünschen ihm alles Gute für die Zukunft!

. . . Truc Ta?

Truc Ta aus dem Jahrgang 2010 hat 2011 ihr Abitur absolviert und uns einen tollen Text über die Zeit seit dem Abitur geschickt, der hier einfach in seiner Reinform präsentiert wird 🙂 Viel Spaß beim Lesen und herzlichen Dank an Truc!

Nach dem Abitur 2011 begann ich das Studium der Humanmedizin in Heidelberg aus demselben Grund wie viele: Faszination an Naturwissenschaften mit sozialer Anwendung. Ich erlebte ein erstes Jahr voller diffuser Zweifel. In der Rückschau fällt es leichter, die Krisenherde zu identifizieren: Noch fehlende Akzeptanz, dass kein Studium dieser Welt die Welt erklären kann; allen voran aber persönliche Krisen, wie jeder sie einmal erlebt, der zum ersten Mal frei und eigenständig wird.

Im Sommer 2012 war ich für drei Monate Praktikantin in einem öffentlichen Krankenhaus auf dem vietnamesischen Land, Herkunftsort meines Vaters, lernte Krankenhaus- und Lebensmanagement unter extrem schwierigen Bedingungen nachdrücklich kennen, bereiste ferner Singapur und Myanmar. Die Zeit in diesen sehr verschiedenen Ländern offenbarte mir, dass sich unterschiedliche Gesellschaftsstrukturen nicht in Mentalität begründen, sondern Ergebnis aktiver Historie und aktueller Politik sind.

Zurück aus Südostasien nahm ich ein Freisemester, während dem ich ein Pflegepraktikum an einer klassischen deutschen Uniklinik in Berlin absolvierte und sonst nicht viel tat.

Mit dieser Pause im Rücken setzte ich das Studium in Heidelberg fort und wurde in die Friedrich-Ebert-Stiftung aufgenommen. Mittlerweile im vierten Jahr angekommen, nehme ich mir schon wieder frei, um an einer medizinischen Promotion in der Neurophysiologie zu arbeiten. Themenfeld ist der Zusammenhang zwischen Nerven- und Immunsystem. Nach dem Studium so in etwa drei oder vier Jahren kann ich mir vorstellen, auf begrenzte Zeit als Ärztin in Vietnam tätig zu sein.

Meine Antidepressiva: Sport (Yoga, Schwimmen), Reisen, Familie und vor allem die richtigen Freunde. Einige habe ich TiL zu verdanken, darunter inspirative Frauengestalten wie Joka Pipercevic, Irina Hernandez, Nataliya Nikolska und Viola Schramm.

Mittlerweile habe ich meine experimentelle Promotion, parallel zum Studium, fast beendet und vor allem neben technischem Know-How und Fachwissen mich in Geduld geübt. Seit 2014 engagiere mich in der Vereinsarbeit von “MediNetz Rhein-Neckar e.V.”, welche den Zugang zur medizinischen Versorgung für alle Menschen in Deutschland einfordert.
Im Sommer 2016 verschlug es mich ein weiteres Mal nach Vietnam. Diesmal in das wahnsinnig boomende Saigon, wo ich an der dortigen Universitätsklinik Praktika in den Bereichen Tropenmedizin, Urologie und Notfallmedizin absolvierte.

Das Ende meines Studiums ist mit den Staatsexamen im Herbst diesen Jahres und dem anschließenden letzten praktischen Jahr für Medizinstudierende (PJ) tatsächlich nun in Sicht. Das Fach für die folgende Facharztausbildung steht noch nicht fest.

Eine weitere Erkenntnis der letzten Jahre: Vernünftige Von-Vornherein-Argumentationen gegen etwas sind meistens nicht so überzeugend wie das eigene Erleben und Scheitern an der Situation. Ich glaube, dieses Trial&Error-Prinzip funktioniert insbesondere wohl im freien Privatleben.